Open Space auf dem Weg zum neuen Trendreport
Beim Open Space auf dem Community Event von Das NETTZ am 13. Mai 2024 präsentierte die BAG »Gegen Hass im Netz« ihre jüngsten Forschungsansätze für den nächsten Trendreport – und nahm Input aus der Zivilgesellschaft entgegen.
Videoaktivismus: Dimensionen der Radikalisierung
Der neue Trendreport wird einen besonderen Fokus auf Mobilisierung antidemokratischer Akteure durch crossmediale Verknüpfungen legen. Ein zentraler Aspekt ist die verstärkte Nutzung audiovisueller Kommunikationsmittel – Livestreams, Podcasts und Kurzvideos werden zunehmend zur Verbreitung von Hassbotschaften genutzt. Plattformen wie TikTok und YouTube spielen hierbei eine entscheidende Rolle.
Crossmediale Dynamiken und Community Building
Ein wesentlicher Teil der Forschung widmet sich der Frage, wie Inhalte über verschiedene Plattformen und Medienformate hinweg Verbreitung finden. Besonders die Verbindung von Telegram und YouTube sticht im demokratiefeindlichen Spektrum heraus. »Aktivismus« antidemokratischer Akteure wird hier in seiner Abhängigkeit von verschiedenen medialen Möglichkeiten beleuchtet. Während Telegram häufig als sicherer Ausgangspunkt für die Weiterleitung zu Inhalten auf anderen Plattformen wie YouTube dient, begünstigt dort die einfache Zugänglichkeit und das Erreichen eines Massenpublikums eine weitere Mobilisierung.
YouTube kombiniert erfolgreich synchrone und asynchrone Formate und verzeichnet bei seinen Nutzenden hohe durchschnittliche Betrachtungszeiten. Audiovisuelle Formate ermöglichen eine weite und schnelle Verbreitung von Inhalten mit hoher emotionaler Wirkung, indem sie häufig mit Wissen über Musik und Schnitt aus bewusster Inszenierung auftrumpfen. Durch Möglichkeiten des Markenaufbaus und der Monetarisierung wird die Verbreitung von Inhalten weiter begünstigt.
Rabbitholes oder Lücken im Forschungsstand?
Vorstellungen über rein technische Mechanismen der Radikalisierung sind grundsätzlich infrage zu stellen. So ist auch die Adaption einer Alice, die, »im Wonderland« vom Algorithmus immer eine Stufe tiefer getragen, den Bezug zur Realität verliert, nicht unmittelbar auf die Funktionsweisen von Empfehlungen und Kuration durch Algorithmen zu übertragen. Aktuelle Forschungsergebnisse weisen etwa darauf hin, dass externe Links eine große Rolle in diesen Dynamiken spielen könnten.
Durch die Kombination von Datenanalyse und qualitativer Untersuchung gilt es herauszufinden, welche Mechanismen auf anderen Plattformen greifen, wie sich Ansprachen an die Zielgruppe verändern und welche Effekte des Community-Buildings strategisch genutzt werden, um Inhalte weiter zu streuen (beispielsweise wenn sich die Akteure gegenseitig einladen und featuren).
Zur Komplexität des Themas gehört auch, dass Algorithmen veränderlich sind und im Kontext gesellschaftlicher Problematisierungen und Debatten auch durch Plattformen angepasst werden. YouTube etwa empfiehlt seit kürzerer Zeit eher gemäßigtere Videos in seinen Vorschlägen. Aber sitzt die Stellschraube für Mobilisierungserfolge und Misserfolge der extremen Rechten an dieser Stelle?
Der crossmediale Ansatz der Forschungsstelle umfasst sowohl die Analyse von Kommentaren und Interaktionen als auch die Untersuchung von Netzwerken und Verlinkungen zwischen verschiedenen Akteuren. Wie verstärken Akteur*innen sich gegenseitig? Wie bauen sie ihre Marken über die Grenzen verschiedener Plattformen hinweg auf? Wie verschaffen sie sich selbst und einander gegenseitig Rückhalt und Sichtbarkeit innerhalb der »Community«? Welche Bedeutung hat der Aufbau parasozialer Beziehungen, die durch wiederkehrende Sequenzen und persönliche Ansprachen aufgebaut werden?
Um die zivilgesellschaftliche Arbeit zu stärken, ist es notwendig, besser zu verstehen, wie digitale und demokratiefeindliche Mobilisierungsprozesse funktionieren. Informiert durch evidenzbasierte Forschung ist sie auch besser in der Lage, sich in gesellschaftspolitische Debatten einzubringen und Forderungen zu formulieren.
Fragen und Anregungen aus der Zivilgesellschaft
Beim Open Space wurden spannende Fragen von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft gestellt: Welches Thema tritt an die Stellen der großen Mobilisierung, im Zuge derer seit 2020 in Bezug auf die Corona-Pandemie Falsch- und Desinformationen verbreitet wurden? Dazu zeigt das Monitoring der BAG »Gegen Hass im Netz«, neben einem recht stabilen Maß dieser »Corona-Inhalte«, auch eine Zunahme von Kriegsthemen.
Großes Interesse galt auch »entstandenen Leerstellen«, die mit der Abwanderung von Twitter (X) verknüpft werden. Die Forschenden kennen die Problematik gut und nehmen sie als Anregung für weitere crossmediale Untersuchungen mit.
Crossmediale Verknüpfungen in der nächsten Veröffentlichung
Der nächste Trendreport der BAG wird zeigen, wie komplex und vielschichtig die Verbreitung antidemokratischer Inhalte und Hassbotschaften im digitalen Raum ist und dabei helfen, dem Verständnis dieser veränderlichen Dynamiken ein Stück näher zu kommen. Die zunehmende Bedeutung audiovisueller Inhalte und die crossmediale Verbreitung stellen neue Herausforderungen dar, bieten aber auch Chancen für die Prävention und Bekämpfung von Hass im Netz. Die Ergebnisse des Trendreports sollen als Grundlage für weitere Forschungsarbeiten und praktische Maßnahmen dienen, um die demokratische Kultur im digitalen Raum zu stärken und zu schützen.
Zu lesen gibt es die neuen Ergebnisse Ende Juli im Trendreport Machine Against the Rage. Mit einer Anmeldung für den Newsletter der BAG »Gegen Hass im Netz« landet er pünktlich zur Veröffentlichung in eurem Postfach!