Was Zivilgesellschaft und Forschung gegen rechtsextreme Raumgewinne tun können
Hass im Netz können wir nur gemeinsam begegnen – das ist Leitsatz der BAG »Gegen Hass im Netz«. Ein zunehmender Rechtsruck der Gesellschaft macht zivilgesellschaftliches Engagement unerlässlich. Wie Zivilgesellschaft und Forschung sich besser digital aufstellen und voneinander lernen können, waren Themen des Jahrestreffens am 1. Dezember 2023 in Berlin.
Die Weichen für die Arbeit der BAG »Gegen Hass im Netz« wurden im vergangenen Jahr gelegt: Der Wissenschaftliche Beirat zur Betreuung der internen Forschungsstelle wurde gegründet und das Zivilgesellschaftliche Forum mit Partnerorganisationen aus der zivilgesellschaftlichen Praxis ist gewachsen. Aus einem Aufbauprojekt wurde 2023 die BAG mit fester Infrastruktur, einem Netzwerk für Austausch und gegenseitige Unterstützung – und Monitoring, das in Form des vierteljährlichen Trendreports Machine Against the Rage Hassdynamiken in demokratiefeindlichen Milieus analysiert. Im nächsten Jahr sollen neue methodische Formate wie Memes, Podcasts und KI-generierte Desinformation und eine Ausweitung des Monitorings auf größere Plattformen im Vordergrund stehen.
Enge Kooperation zwischen Forschung und Zivilgesellschaft
Zudem wurden drei Praxispartner*innen aus der Zivilgesellschaft – JFF, modus|zad und Neue deutsche Medienmacher*innen – ein Jahr lang mit wissenschaftlicher Beratung und Daten unterstützt, um als Use-Case-Projekt einen direkten Draht zwischen Forschung und Praxis herzustellen. So haben wir getestet, wie zivilgesellschaftliches Handeln zur Bekämpfung von Hass im Netz auf einer empirischen Basis bereichert werden kann. Neue deutsche Medienmacher*innen haben zusammen mit der Forschungsstelle Zusammenhänge zwischen Sprache in redaktionellen Posts und Rassismus in Kommentarspalten betrachtet. Mit dem JFF ordneten die Forschenden antipluralistische Botschaften auf jugendaffinen Plattformen ein. Und modus|zad halfen Daten der BAG »Gegen Hass im Netz«, das Gefahrenpotential ausgewählter Verschwörungsideologien besser einschätzen zu können. Für das nächste Jahr wurden bereits neue Anträge eingereicht und gepitcht.
Hass im Netz phänomenübergreifend betrachten
Neben diesem Rück- und Ausblick zu den Aktivitäten der BAG »Gegen Hass im Netz« diskutierten der Wissenschaftliche Beirat und das Zivilgesellschaftliche Forum in separaten Sitzungen zu aktuellen Fragen und Themen, die sie bewegen. So wurde im Zivilgesellschaftlichen Forum darüber diskutiert, welche Partnerorganisationen Projekte zu den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ins Leben rufen wollen und wo Anknüpfungspunkte bestehen. Auch wurde anhand eines Good-Practice-Falls von LOVE-Storm besprochen, wie wir durch eine direkte Einbindung der Community Content-Moderation in geschlossenen Chatgruppen als proaktiv und empowernd verstehen können. Zuletzt erarbeiteten die Teilnehmenden in Kleingruppen ein grobes Workshopkonzept zum Querschnittsthema Hass im Netz. Gibt es ein gemeinsames Verständnis von phänomenübergreifender Betrachung von Hass im Netz? Wer sollte Zielgruppe eines solchen Workshops sein? Und welche Kompetenzen und Tools müssen wir dafür bündeln?
Was tun gegen rechtsextreme Raumgewinne?
Dass Hass im Netz nur gemeinsam eingedämmt werden kann, war Gegenstand unserer Abschlussdiskussion. Durch einen zunehmenden Rechtsruck der Gesellschaft steht die Zivilgesellschaft, die sich die Bekämpfung von Hass und Desinformation zur Aufgabe gemacht hat, vor großen Herausforderungen. Wie gehen wir als Zivilgesellschaft mit der AfD und digitalisierten Formen von Rechtsextremismus um? Und welche digitalen Strategien können wir einbringen?
Alle Panelist*innen waren sich einig, dass wir nicht wehrlos gegen das Erstarken der Rechten sind. So konstatierte Christian Fuchs, Autor im Investigativ-Ressort von Die Zeit, dass der toxische und emotional aufgeladene Online-Diskurs der vergangenen Jahre zum Erfolg der AfD beigetragen hat. Trotzdem gäbe es auch viele erfolgreiche Initiativen, die rechtsextremen Entwicklungen Einhalt gebieten können – Bürger*innenräte und das Zeit-Projekt Deutschland Spricht zum Beispiel. Gerade in den neuen Bundesländern herrschen aber andere Voraussetzungen für zivilgesellschaftliche Ansätze.
Es braucht kreative zivilgesellschaftliche Ansätze
Simone Rafael von der Amadeo Antonio Stiftung und Mitglied des zivilgesellschaftlichen Forums bekräftigte, dass zivilgesellschaftliches Engagement wichtiger denn je sei, wenn Menschen sich vermehrt vom demokratischen Diskurs entfernen. Oft sind die, die sich engagieren, diejenigen, die am meisten bedroht werden. Hier setzte auch eine klare Kritik an der momentanen Förderlandschaft an: Zivilgesellschaftliche Projekte werden zu wenig kontinuierlich gefördert, um besser bewerten zu können, welche digitalen Strategien funktionieren.
Worauf wir in der Zivilgesellschaft auch achten müssen, ist selbstkritischer zu werden, erwiderte Holger Marcks, Co-Leiter der BAG-Forschungsstelle. Um der Rechtsextremen den postfaktischen Nährboden zu entziehen, müssen wir die Emotionalität aus politischen Debatten nehmen. Was tun, wenn Menschen bereits in den Sog rechtsextremer Einstellungen gekommen sind? Braucht es mehr kontraintuitive Ideen? Ja, aber wir brauchen andere Strategien, als die von Rechtsextremen zu kopieren, wendete Simone Rafael ein.
Plattformen müssen Verantwortung übernehmen
Klar ist auch, dass die digitalen Plattform in die Pflicht genommen werden müssen. Die extreme Rechte ist stark auf TikTok vertreten – und viele Jugendliche nutzen die Plattform als Informationsquelle. Ohne Plattformlogiken könnten sich verschwörungsideologische und rechte Erzählungen deshalb nie so schnell verbreiten. Der Digital Services Act, vor allem ein besserer Zugang zu Forschungsdaten, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Eine Regulierung des Netzes allein wird aber nicht die Lösung sein.
Das, was online und auf den Straßen passiert, bedingt sich gegenseitig. Wie können wir also in Anbetracht eines Rechtsdruck in Gesellschaft und Politik optimistisch in die Zukunft sehen? Nadine Brömme, Co-Gründerin von Das NETTZ, versucht, den Tenor der Debatte zusammenzufassen: Wenn wir gegen die Spaltung der Gesellschaft arbeiten wollen, dürfen wir uns selbst nicht spalten.